
Zukunftskonferenz 2024
Die Zukunfts-Konferenz am 15. November 2024 hat eindrucksvoll gezeigt, dass Sprachmittlung im Gesundheitswesen kein Randthema, sondern eine zentrale Voraussetzung für eine patient*innenenzentrierte und qualitativ hochwertige Versorgung ist. In den Impulsvorträgen, der Gruppendiskussion, den Werkstätten und der Fallbesprechung/ Fishbowl-Diskussion wurden Herausforderungen, Bedarfe und Lösungsansätze intensiv beleuchtet. Trotz vieler guter Ansätze bestehen weiterhin erhebliche strukturelle, finanzielle und rechtliche Hürden.
Zusammenfassung
Die Konferenz “Sprache öffnet Türen” brachte verschiedene Akteur*innen und Interessengruppen zusammen. Ihre wertvolle Expertise und vielfältigen Erfahrungen – sei es als Beschäftigte im Gesundheitswesen, Mitarbeitende oder Vertreter*innen von Sprachmittlungsdiensten, Akteur*innen aus Verwaltung und Politik oder Vertreter*innen von Patient*inneninteressen – trugen zu reichhaltigen Diskussionen bei. Die vielfältigen Impulse und kritischen Anregungen waren auf ein „Wie weiter?“ gerichtet, ganz im Sinne des Titels „Zukunftskonferenz“. Gemeinsam wurden zentrale Fragen zur nachhaltigen Implementierung von Sprachmittlung diskutiert: Wie kann Sprachmittlung langfristig in die Gesundheitsversorgung integriert werden? Welche Strukturen und Standards braucht es dafür?
Vor diesem Hintergrund fand die hybride Veranstaltung am 15. November 2024 im historischen Salon Babette in der Berliner Karl-Marx-Allee statt. 75 Personen nahmen vor Ort teil, weitere 50 online. Neben fachlichen Diskussionen boten Pausen Raum für Austausch und Networking. In verschiedenen Formaten wurden Perspektiven für die Weiterentwicklung von Sprachmittlung erarbeitet.
Diese Dokumentation fasst die Inhalte sowie zentralen Erkenntnisse der Konferenz zusammen und beleuchtet die notwendigen Schritte zur gesetzlichen Verankerung von Sprachmittlung als fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Dabei stehen insbesondere folgende Handlungsfelder im Fokus:
• Verankerung und Finanzierung von Sprachmittlung im Sozialgesetzbuch und in der
Gesundheitsversorgung
• Qualitätssicherung und Professionalisierung von Sprachmittlung
• Entwicklung flexibler, bedarfsgerechter Angebotsstrukturen
Wir danken allen Teilnehmenden herzlich für ihre wertvollen Beiträge, ihr Engagement und ihre Expertise, mit der sie diese Konferenz bereichert haben.
Programm
Willkommen
Austausch im Plenum
Gesprächsrunde zur aktuellen Praxis von Sprachmittlung im deutschen Gesundheitswesen. Mit Jana James, Marthe Hammer, Steffen Schödwell, Maria Hummel, Martin Möckel und Marc Schreiner
Impulse
Impuls 1. Praktiken und Infrastrukturen: Wie steht es um die Implementierung und die Qualität von Sprachmittlung in der medizinischen Behandlung? Theda Borde & Ulrike Kluge
Impuls 2 Sprachmittlung im deutschen Gesundheitswesen: Wie ist die Rechtslage? Jala El Jazairi & Stefan Keßler
Impuls 3 Blick über den Tellerrand: Wie ist Sprachmittlung im schwedischen Gesundheitswesen implementiert? Sofie Bäärnhielm
Werkstätten
Werkstatt 1 Implementierung von Sprachmittlung in verschiedenen Strukturen
Werkstatt 2 Angebotsstrukturen in der Sprachmittlung: Face-to-Face, Telefon und digitale Formate
Werkstatt 3 Digitale Sprachmittlung im Gesundheitswesen
Fishbowl-Diskussion mit allen Anwesenden: Was sind notwendige Schritte für eine bedarfs-orientierte, finanzierte und qualifizierte Sprachmittlung? Moderiert von Ulrike Kluge & Asita Behzadi
Werkstätten
Werkstätten
Werkstatt I
Implementierung von Sprachmittlung in verschiedenen Strukturen
Der inhaltliche Fokus der Werkstatt lag auf den Voraussetzungen für die Implementierung von Sprachmittlung im städtischen und ländlichen Raum. Angeregt durch kurze Impulse zu Beispielen und Herausforderungen für unterschiedliche regionale Versorgungsstrukturen sollten in Kleingruppen Szenarien und konkrete Maßnahmen für eine gelingende flächendeckende Implementierung von Sprachmittlung erarbeitet werden.
Bereichert wurde das Werkstattgespräch durch Impulse von Jana James (Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege des Landes Berlin), Marthe Hammer (Triaphon gGmbH), Dr. Thomas Götz (Staatssekretär, Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg) und vielen weiteren Teilnehmenden der Konferenz.
Moderation: Simone Penka und Aferdita Suka
Werkstatt II
Angebotsstrukturen in der Sprachmittlung: Face-to-Face, Telefon und digitale Formate
Es gibt bereits eine Vielzahl von Sprachmittlungs-Angeboten in der Gesundheitsversorgung, sowohl als Vor-Ort-Sprachmittlung als auch als ortsunabhängige Sprachmittlung. Doch welche Angebote sind unter Berücksichtigung der jeweiligen Kontext-Anforderungen hilfreich und umsetzbar? Diese Frage wird angeregt durch kurze Impulse in Kleingruppen diskutiert und Gelingensbedingungen für die Implementierung von Angebotsstrukturen erarbeitet.
Impulse von Maria Hummel (Xenion, Psychosoziale Hilfe für politisch Verfolgte e.V.) und Sophie Pourebrahim (Gemeindedolmetschdienst Berlin).
Moderation: Asita Behzadi und Meta Hermann
Werkstatt III
Digitale Sprachmittlung im Gesundheitswesen
Digitale Sprachmittlungsangebote versprechen einfache Lösungen hinsichtlich der flächendeckenden Nutzung und Zugänglichkeit sowie der Reduzierung von Personalaufwand und Kosten. Doch welche Chancen und Herausforderungen bieten digitale Angebote in der Gesundheitsversorgung mit Blick auf Sprachbarrieren? Angeregt durch kurze Impulse werden die Potenziale technologischer Ansätze für verschiedene Settings in Kleingruppen diskutiert.
Impulse von Christine Bauer (SprInt, Sprach- und Integrationsmittlung Berlin) und Dieter Rittinger (Deutsche Gesellschaft für Informations- und Versorgungsmanagement, DeGIV GmbH), Kommentar von Franz Pöchhacker (Zentrum für Translationswissenschaft, Wien, Österreich).
Moderation: Ulrike Kluge und Philipp Rühr
Referierende
Christine Bauer: SprInt, Sprach- und Integrationsmittlung Berlin
Sofie Bäärnhielm: Transkulturelles Zentrum, Stockholm, Schweden
Asita Behzadi: Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie, Charité Campus Virchow-Klinikum
Theda Borde: Klinik für Gynäkologie, Charité Campus Virchow-Klinikum
Jala El Jazairi: Unionhilfswerk gGmbH, Bereich Hospiz und Palliative Geriatrie
Zentrale Anlaufstelle Hospiz
Thomas Götz: Staatssekretär, Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg
Marthe Hammer: Triaphon gGmbH, Telefonische Sprachmittlung in der medizinischen Versorgung
Meta Hermann: Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Campus Mitte
Maria Hummel: Xenion, Psychosoziale Hilfe für politisch Verfolgte e.V.
Jana James: Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Berlin
Stefan Keßler: Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland
Ulrike Kluge: Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Campus Mitte
Martin Möckel: Ärztlicher Leiter Notfall- und Akutmedizin, Zentrale Notaufnahmenund Chest Pain Units Campus Charité Mitte & Virchow-Klinikum
Simone Penka: TransVer, Ressourcen-Netzwerk zur interkulturellen Öffnung
Sophia Pourebrahim: Gemeindedolmetschdienst Berlin (GDD)
Franz Pöchhacker: Zentrum für Translationswissenschaft, Wien, Österreich
Dieter Rittinger: Deutsche Gesellschaft für Informations- und Versorgungsmanagement
Philipp Rühr: Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Campus Mitte
Steffen Schödwell: Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis, Berlin
Marc Schreiner: Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft
Aferdita Suka: Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Campus Mitte
… und alle Teilnehmenden, die die Veranstaltung mit ihrer Expertise unterstützt haben
Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz
Ausblick
Ausblick
Die Zukunftskonferenz am 15. November 2024 hat eindrucksvoll gezeigt, dass Sprachmittlung im Gesundheitswesen kein Randthema, sondern eine zentrale Voraussetzung für eine patient*innenzentrierte und qualitativ hochwertige Versorgung ist. In den Impulsvorträgen, der Gruppendiskussion, den Werkstätten und der Fallbesprechung/Fishbowl-Diskussion wurden Herausforderungen, Bedarfe und Lösungsansätze intensiv beleuchtet. Trotz vieler guter Ansätze bestehen weiterhin erhebliche strukturelle, finanzielle und rechtliche Hürden.
Wir danken allen Teilnehmenden, die die Konferenz mit ihrer Expertise und ihrem Engagement bereichert und entscheidende Impulse für die zukünftige Entwicklung der Sprachmittlung gegeben haben. Die intensive und konstruktive Zusammenarbeit zeigt, dass bereits viele wichtige Bausteine bereits vorhanden sind – nun gilt es, diesen Schwung mitzunehmen und gemeinsam in konkrete (strukturelle) Maßnahmen umzusetzen.
Was sind zentrale Erkenntnisse und Handlungsbedarfe?
- Verankerung und Finanzierung von Sprachmittlung: Das Recht auf eine verständliche Kommunikation zwischen Patient*innen und Ärzt*innen ist in § 630c Abs. 3 BGB verankert. Aufgrund der fehlenden systematischen Finanzierung von professioneller Sprachmittlung bleibt dieses Recht in der Praxis jedoch häufig unerfüllt. Um diesen Missstand zu beheben, bedarf es einer Verankerung im Sozialgesetzbuch. Sprachmittlung sollte als Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung anerkannt werden. Dies könnte durch eine Ergänzung des § 11a SGB V (Leistungsarten) erfolgen.Damit würde Sprachmittlung als abrechenbare Leistung im Gesundheitswesen etabliert.
- Qualitätsstandards und Professionalisierung: Die Beiträge der Fachreferierenden und die Diskussionen in den Werkstätten machten deutlich, dass die Qualität der Sprachmittlung einen entscheidenden Einfluss auf die Behandlungsqualität hat. Neben einheitlichen Qualifizierungsstandards für Sprachmittelnde müssen auch Berufsverbände und relevante Institutionen eingebunden werden, um deren fachliche Qualifikation weiterzuentwickeln. Die Arbeit mit Sprachmittlung sollte zudem als fester Bestandteil in die Aus- und Weiterbildung der Gesundheitsberufe integriert werden. Darüber hinaus ist die Verankerung von Supervisionsstrukturen für alle am Versorgungsprozess beteiligten Akteur*innen unerlässlich, um langfristig eine hohe Qualität in der Sprachmittlung und in der Behandlung zu gewährleisten.
- Entwicklung einer bedarfsgerechten modularen Angebotsstruktur für unterschiedliche Settings und Strukturen: Die Diskussionen haben gezeigt, dass Sprachmittlung nicht als Einheitslösung gedacht werden kann, sondern flexibel auf unterschiedliche Bedarfe in der Gesundheitsversorgung reagieren muss. Während in bestimmten Settings der Vor-Ort-Einsatz von professionellen Sprachmittelnden erforderlich ist, können in anderen Settings auch hybride Lösungen, z. B. eine Kombination aus Sprachmittlung vor Ort und digitalen Tools, sinnvoll sein.
Was sind die nächsten Schritte für eine nachhaltige Implementierung von Sprachmittlung im Gesundheitswesen, die im Rahmen der Konferenz besprochen wurden?
A. Weiterentwicklung der Gesetzesinitiative: Im Konferenzverlauf wurde von Teilnehmenden immer wieder das Interesse formuliert, gemeinsam Ideen für den geplanten Gesetzesentwurf zu erarbeiten bzw. bestehende Umsetzungsvorschläge weiter zu konkretisieren. Da gerade in den Tagen rund um die Konferenz die Regierungskoalition der Bundesregierung gescheitert ist und Neuwahlen in 2025 angekündigt wurden (die im Februar stattgefunden haben), entstand die Idee, an Politik und Verwaltung heranzutreten, um das Thema einer finanzierten Sprachmittlung im Gesundheitswesen in mögliche Koalitionsverhandlungen einzubringen. Interessierte organisieren sich dafür im Nachgang der Konferenz.
B. Stärkung des Bundesweiten Bündnisses für Sprachmittlung: Interessierte sind eingeladen, sich an der Arbeit des Bündnisses zu beteiligen. Das Bundesweite Bündnis für Sprachmittlung im Gesundheitswesen ist ein offener Zusammenschluss von Akteur*innen im Gesundheitsbereich, die sich gemeinsam für die Aufnahme von Sprachmittlung in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) bzw. ins SGB V einsetzen. Das Bündnis fordert die Bundesregierung erneut auf, eine gesetzliche Regelung zur Sprachmittlung im Gesundheitswesen voranzutreiben, um die Versorgung von Patient*innen mit unzureichenden Deutschkenntnissen zu verbessern. Digitale Lösungen sind zwar eine wichtige Ergänzung, aber kein Ersatz für persönliche Sprachmittlung in sensiblen medizinischen Bereichen. Darüber hinaus fordert das Bündnis den Aufbau eines bundesweiten Netzes professioneller Sprachmittlungsdienste, um Sprachbarrieren effizient zu überwinden und die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Weitere Informationen finden Sie auf der Website von TransVer: https://transver-berlin.de/nexus-positionspapier-sprachmittlung/
C. Evaluation der Nutzung und Implementierung von Sprachmittlung: Im Rahmen des SIMPLE-Projekts wird derzeit eine Studie durchgeführt, um zu untersuchen, welche Sprachmittlungsformate in unterschiedlichen Versorgungssettings besonders geeignet sind, wie sie nachhaltig in bestehende Strukturen integriert werden können und welche Weiterentwicklungsmöglichkeiten bestehen. Studie
D. Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Sprachmittlung: Es gibt bereits einen umfangreichen Wissensbestand zu diesem Thema. Damit er nicht immer wieder neu von den jeweiligen Akteur*innen erarbeitet werden muss, wird im Rahmen des SIMPLE-Projekts ein Fragen- und Antworten-Dokument zur Sprachmittlung erstellt und (online) verfügbar gemacht. Dieses Dokument soll zentrale Fragen zur Implementierung von Sprachmittlung aufgreifen, unter anderem: Warum ist Sprachmittlung notwendig? Welche Möglichkeiten und Formate der Sprachmittlung gibt es? Welche rechtlichen Regelungen existieren bereits und welche Lücken gibt es? FAQ





